Diese Jahreszeit ist in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Es ist eine Zeit, die mit viel Spaß und Freude erfüllt werden kann: Freunde, die nach Hause zurückkehren, Familien, die sich zusammenfinden und aus aller Welt einfliegen, Weihnachtsfeiern und -märkte, Geschenke vergeben und bekommen. Es ist auch eine Zeit des Wandels und der Dunkelheit, wenn wir uns dem kürzesten Tag und dem Ende des Jahres nähern. Viele von uns verbringen diese kurzen Tage damit, nach Geschenken zu suchen, um das passende Geschenk für die richtige Person zu finden. Ich habe in letzter Zeit ziemlich viel über diese nachgedacht, diese Idee von Geschenken (presents). Oder viel mehr wirklich – über Präsenz (presence).
Wie wäre es, wenn wir Präsenz statt Präsente schenken?
Alles, was ich mir zu Weihnachten wünsche, ist, mit meinen Töchtern zusammen zu sein, an einem Tisch zu sitzen, ihre Geschichten zu hören, mit ihnen zu kochen – einfach bei ihnen zu sein. Da sie in Australien leben, ist es für uns mit einem großen Aufwand verbunden, damit wir Zeit miteinander verbringen können. Dann wird die Zeit – der gegenwärtige Moment – wirklich wertvoll. Meine Töchter sagen manchmal zu mir: “Mama, du hörst nicht zu, ich habe dir diese Geschichte schon einmal erzählt.” Und es passiert öfters. Und ich fühle mich ertappt und es ist wahr; wie viele gemeinsame Momente verloren gehen, wenn wir nur die Hälfte dessen hören, was jemand sagt, uns um unseren nächsten Job Sorgen machen oder eine Sache von unserer „To-Do“-Liste in unserem Kopf streichen. Wir sind Eltern, die unsere Kinder manchmal mit dem Smartphone in der Hand vom Kindergarten abholen, mit unserem Partner frühstücken, während wir die Zeitung lesen oder beim Abendessen fernsehen.
Meine Mutter sagte mir letztes Jahr zu Weihnachten, dass sie im kommenden Jahr nur Zeit verschenken möchte: Eine Freundin zu einem Weihnachtspunsch mitnehmen; ins Altersheim gehen; sich die Zeit nehmen, ein Paar Socken für meine Töchter zu stricken oder einfach mit dem Zug nach Wien fahren, um bei mir zu sitzen um meinen endlosen Geschichten zuzuhören. Ich erkannte damals, dass es eigentlich kein materielles Präsent gibt, das dieses Geschenk der Präsenz jemals wettmachen könnte.
Was bedeutet es wirklich, bei der Person präsent zu sein, mit der man zusammen ist?
Es geht nicht nur darum, physisch oder geistig anwesend zu sein, sondern es ist auch eine emotionale und spirituelle Präsenz – Achtsamkeit ist dem sehr ähnlich. Aber ich spüre, dass Präsenz es noch besser zum Ausdruck bringt. Sie beschreibt wirklich das Gefühl, sich vollständig auf eine andere Person einzustellen. Diese Präsenz setzt dein Ich für einen Moment außer Kraft. Du bist nicht da, damit du etwas von der anderen Person bekommst, oder um deren Anerkennung für dich zu bekommen. Das bedeutet, dass man andere Menschen so kennenlernen kann, wie sie sind und in diesem Moment einfach bei ihnen sein kann. So kannst du sie verstehen, ohne sie mit dir zu vergleichen, ohne dein eigenes Urteil oder deine Annahme hinzuzufügen, wer du denkst, wer sie sind und was sie wollen.
Du weißt, dass deine Präsenz ihnen so viel bedeutet; sie ist wie ein Geschenk der bedingungslosen Liebe. Im Gegenzug werden deine Beziehungen bedeutungsvoller und haben mehr Tiefe. Du fängst an, die Menschen wirklich zu verstehen. Genauso wichtig ist es, dass du anfängst, dich selbst wirklich zu verstehen und mit dem “Du” anwesend zu sein, das sich in diesem Moment manifestiert.
Wie kann Yoga helfen?
Im letzten Monat war unser Thema unsere eigene Yoga Praxis, unsere Sadhana,Patanjali‘s zweites Kapitel über unsere Yogapraxis als Weg zur ultimativen Freiheit. Wie Patthabi Jois sagt:” Übe und alles wird kommen!”. Eine kontinuierliche Yogapraxis, bei der die Matte immer wieder ausgerollt wird, ist wirklich eine Möglichkeit, anzuhalten und zu sagen: “Hmm, das ist Zeit für mich, das ist die Zeit, um auf den gegenwärtigen Moment zurückzukommen, aus dem Kopf, in den Körper und in den Atem.” Diese Präsenz ist zuerst wirklich ein Geschenk an dich selbst.
Es ist meine regelmäßige und beständige Praxis, die es mir ermöglicht, vollständig anwesend zu sein, bei den Menschen vor mir präsent zu sein, wenn ich lehre, mit mir selbst und mit meinen engsten Lieben anwesend zu sein.
Diese Praxis von der Matte in diesen Monat der Feierlichkeiten zu nehmen, bedeutet für mich, mich auf den Moment einzustellen, wenn ich das nächste Mal mit jemandem zusammen bin. Wirklich bei ihnen und für sie da zu sein. Ich achte darauf, dass ich den plappernden Geist für einen Moment abstellen kann. Damit lasse ich die Vorurteile und Annahmen dessen, was ich denke, dass die andere Person sagt, oder was ich ihnen sagen will, hinter mir, damit ich wirklich zuhören kann, was sie mit ihrem Mund, mit ihrem Körper und mit ihrem Herzen sagen. Ich gebe ihnen das Gefühl, dass sie in diesem Moment die wichtigste Person für mich sind, denn sie sind es tatsächlich.
What a present to be present!
von Beate