Patanjalis Yoga Sutras – Pada 1

In der indischen Mythologie gibt es die wunderbare Legende des Weisen Patanjali, welcher oft als Vater des Yoga bezeichnet wird. Laut Erzählung hatte Patanjali’s Mutter, Gonika, zu dem Sonnengott nach einem würdigen Sohn gebetet. Als Zeichen ihrer Hingabe schöpfte sie mit ihren Händen nach Wasser und begann über den Sonnengott zu meditieren. Als sie ihre Augen öffnete, sah sie in ihren Handflächen eine kleine Schlange, die plötzlich menschliche Gestalt annahm. Der Mann, der aus ihren Handflächen hervortrat bat sie, ihn als ihren Sohn anzunehmen. Gonika tat dies und nannte ihn Patanjali, was sich aus Pata, gefallen, und Anjali, eine Geste oder „zum Gebet gefaltet Hände“, zusammensetzt.

Zur gleichen Zeit als Gonika zu dem Sonnengott betete, war der Herr der Schlangen, Adisesa, in seiner Meditation vertieft um herauszufinden als welchen Sohn er wiedergeboren werden würde. Adisesa hatte von Lord Vishnu erfahren, daß Lord Shiva vorhatte Adisesa die Weisheit zu geben, Bücher über Sprache zu schreiben und die Kunst des Tanzens zur Vollkommenheit zu bringen. Daher wollte Adisesa wiedergeboren werden und in seiner Meditation erkannte er, daß Gonika die Mutter sein würde nach der er suchte.

Als er nun als Patanjali wiedergeboren wurde, erfüllte er Lord Shiva’s Vorsehung und begann nicht nur über Sprache (Sanskrit) und Grammatik zu schreiben, sondern auch über Ayurveda, die Wissenschaft von Leben und Gesundheit, und über die menschliche mentale und spirituelle Entwicklung, welches die Yoga Sutren bildet. Zusammen behandeln diese drei Schriften die humane Evolution als Gesamtes: im Denken, in der Sprache und im Handeln; und zusammen bezeichnet man diese als yoga darsana. Darsana bedeutet “Vision der Seele“ oder ‘Spiegel“.         

Hat Patanjali wirklich gelebt?[1]

Von diesem indischen Mythos abgesehen, sind sich die heutigen Gelehrten einig, daß Patanjali tatsächlich als Weiser – oder inspirierter Seher – wie er manchmal von vielen Yoga Mastern genannt wird, gelebt und geschaffen hat. Da es aber schwierig ist festzustellen von welchem Zeitalter die alten Sanskrit Schriften stammen, ist es fast unmöglich ganz genau zu sagen, wann Patanjali lebte und wann die Yoga Sutren und seine anderen Werke geschrieben wurden.  Dem Inhalt zu Folge nehmen manche Gelehrten an, daß diese kurz nach Beginn der modernen Zeitrechnung, zwischen dem ersten und zweiten Jahrhundert C.E. entstanden sind. Andere wiederum meinen, daß seine Werke einige Jahrhunderte vor der modernen Zeitrechnung entstanden sind.  Das bedeutet also, daß man nur sagen kann, daß Patanjali’s Leben und sein Wirken ungefähr zwischen den letzten 2500 und 1500 Jahren stattgefunden hat. Trotz dieser sehr vagen Datierung kann man diesen Werken nichts von der Autorität und Authentizität über Yoga anzweifeln. Weiteres sagt man auch, daß so wie es üblich war im alten Indien, Patanjali’s Weisheiten mündlich überliefert wurden und erst später mit Kommentaren von einem seiner Schüler, Vyasa, im fünften Jahrhundert, niedergeschrieben wurden.

Ganz gleich ob Patanjali’s Lehren zuerst mündlich weitergegeben und später aufgeschrieben wurden, und zu welcher Zeit man diese genau zuordnen kann, die Lehre an sich ist noch genauso relevant heute, wie sie schon damals für jene Yogis auf der Suche nach Selbsterkenntnis war. BKS Iyengar faßt die Bedeutung von Patanjali’s Lehren zusammen als „[…] die wichtigste Botschaft des inspirierten Sehers, welche durch Jahrhunderte durch zu uns gekommen ist und besagt, daß der wirkliche Sinn des Lebens darin besteht, den Ozean der Illusion zu überqueren – von den Ufern des weltlichen Vergnügen zu dem andren Ufer der Befreiung und der fortwährenden Glückseligkeit.”[2]

Die Yoga Sutren[3]

Die Yoga Sutren sind eine Sammlung von 196 Aphorismen, welche die philosophische Grundlage für die meisten Schulen von Yoga, die man heute kennt, dient. Das Sankrit Wort Sutra bedeutet Faden und bezeichnet die einzelnen Verse, die wie Perlen über einen Faden miteinander verbunden sind.

Die Yoga Sutren sind in vier Kapitel (Pada) gegliedert:

1 – Samadhi Pada, 2 – Sadhana Pada, 3 – Vibhuti Pada, und 4 – Kaivalya Pada

  • Samadhi Pada (Kontemplation)

Das erste Kapitel beginnt mit einer Einführung ins Yoga und was man erhoffen kann durch die Yoga Praxis zu erreichen. In einem der meist bekannten Sutren definiert Patanjali Yoga als “yogah citta vrtti nirodha” – Yoga ist das Zügeln der Aktivitäten des Geistes (1.2.). Man könnte sagen, daß Patanjali genau mit diesem Vers beginnt, um jene Leser anzusprechen, die schon einen Weg der Selbsterkenntnis suchen. Dieser Vers kann auch als Einleitung für die gesamten Sutren gelesen werden. Sutras 1.3. und 1.4. beschreiben den Unterschied der darin besteht, wenn der Zustand von Samadhi (Erleuchtung, Einssein mit allem, sich nicht mehr getrennt fühlen – das Ziel von Yoga) erreicht wird (1.3.) und wenn nicht (1.4.). Das restliche Kapitel ist wie folgt aufgeteilt:

  • Sutras 1.5. – 1.11. beschreiben die Bewegungen von Chitta (das Wandelbare des Menschen, die bewegten Gedanken, der Verstand ) und deren Ursprung (dies wird auch manchmal die Verfärbungen oder Trübungen des Geistes genannt)
  • Sutras 1.12. – 1.16. zeigen die Wichtigkeit von abhyasa– Praxis, und vairagya– dem Nicht-Anhaften auf. Obwohl wir praktizieren um das Ziel von Yoga zu erreichen, ist es genauso wichtig, daß wir nicht an dem Resultat anhaften. Man könnte sagen, daß wir des Praktizierens Willen praktizieren und wissen, wo es hinführen kann, aber wir dürfen nicht in dieses “Ziel” investiert sein.  Das erinnert ein wenig an Krishna, der in der Baghavad Gita über das Verzichten spricht.
  • Sutras 1.17. – 1.18. erklären zwei Arten von Samadhi: samprajnata samadhi – das sich durch tiefe Konzentration auf ein Objekt auszeichnet und asamprajnata samadhi – Samadhi ohne Objekt, auch „samenloses“ Samadhi genannt.
  • Sutras 1.19. – 1.22.: Hier beschreibt Patanjali den Effekt auf den Schüler, welcher sich in seiner spirituellen Praxis, sadhana, verpflichtet und stetig bemüht ist und ebenso deckt er die verschiedenen Arten von Schülern auf.
  • Sutras 1.23. – 1.29.: Hier enthüllt Patanjali, daß man durch die Darbietung und Hingabe zu Isvara, Gott, zu einer direkten Erfahrung von Samadhi gelangen kann. Das Loslassen des eigenen Egos, der eigenen Bestrebungen, der Schmerzen, der Vergnügungen, des Verlangens, der Freuden und Errungenschaften ist auch der Weg des Bhakti Yoga, wie beschrieben in der Baghavad Gita. Patanjali erklärt, daß das Chanten der Silbe AUM der direkte Weg zu Isvara ist.
  • Sutras 1.30. – 1.39. beschreiben die Hindernisse auf dem spirituellen Weg und wie sie überwunden werden können. Durch das Praktizieren des acht-gliedrigen Pfades (Ashtanga Stufen), der hier in den Sutras 1.33. – 1.39. vorgestellt wird, können diese Hindernisse überwunden werden. Diese Sutren beziehen sich auf die einzelnen Glieder des 8-fachen Pfades und werden im Detail in den Kapitel Sadhana Pada und Vibuthi Pada beschrieben.

Die Lösung die Patanjali für diese neun Hindernisse und die vier Unruhen anbietet, ist einfach:

tatpratisedharham ekatattva abhyasah – Das Festhalten an zielstrebiger Bemühung verhindert diese Hindernisse (1.32.) Dies bedeutet im Grunde, dass Meditation in verschiedenen Formen, die das zielstrebige Bemühen darstellt, hilft, diese Hindernisse zu überwinden, und der Grund ist, warum man die ersten sieben Glieder des Ashtanga-Pfades, die an dieser Stelle vorgestellt werden, üben würde. 1.33. bezieht sich auf Yamas, Niyamas und Asanas, 1.34. auf Pranayama, 1.35 auf Pratyahara, 1.36.,1.37., und 1.38 auf Dharana, und 1.39 to Dhyana.

  • Sutra 1.40. – 1.51.: Hier werden die Ergebnisse der Praxis beschrieben.

[1]Siehe Internet Encyclopedia of Philosophy http://www.iep.utm.edu/yoga/

[2]BKS Iyengar. Light on the Yoga Sutras of Patanjali, pg. 274

[3]Es gibt viele verschiedene Übersetzungen der Yoga Sutren. Hier wurde aus dem Englischen BKS Iyengar Light on the Yoga Sutras of Patanjali frei auf Deutsch übersetzt

von Carina Hilmar and Beate McLatchie

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